Montag, 18. März 2019

Ist automatisiertes Fahren rechtens?











Im Auto schnell die Nachrichten lesen, ein paar E-Mails beantworten, vielleicht noch mal die Augen zumachen – was bei der heutigen Nutzung nur für Mitfahrende gilt, könnte durch das automatisierte Fahren in Zukunft für alle Autofahrenden möglich werden. Neben dieser veränderten Nutzung des Automobils verspricht sich nicht nur die Politik von der neuen Technologie ein Mehr an Sicherheit, Effizienz und Nachhaltigkeit im Individualverkehr. Wann werden vollautomatisierte Fahrzeuge auf deutschen Strassen zur Normalität? Welche rechtlichen Weichen müssen gestellt werden, um diese Vision einer neuen Automobilität in die Realität umzusetzen? Welche Rechte und Vorteile ergeben sich aus neuartigen Pflichten, bei der Verwendung von Funktionen unterschiedlicher Automatisierungsgrade? In Deutschland haben Forschende der TU Berlin im Auftrag des Bundesverkehrsministerium Risiken und Interessenskonflikte bei automatisierten und vernetzten Verkehrssystemen der Zukunft untersucht


Wissenschaftler*innen des Fachgebiets Wirtschafts-, Unternehmens- und Technikrecht der Technischen Universität Berlin erhielten 2017 vom Deutschen Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur den Zuschlag, eine für 12 Monate geförderte wissenschaftliche Studie zu den wichtigsten Schwerpunktthemen im Bereich Mobilität zu erstellen. Dafür wurde das Patentrecht, das Zulassungsrecht, das Haftungsrecht sowie Rechte zum Thema Datenschutz unter die Lupe genommen. Die Rechtslage beeinflusst, wie schnell selbstfahrende Autos in Deutschland Alltag sein werden.

Der TU-Professor Ensthaler fasst die Schwierigkeit der rechtlichen Umsetzung der neuen Technologie wie folgt zusammen: „Automatisiertes Fahren wird auf absehbare Zeit nur unter sehr eingeschränkten Umgebungsbedingungen möglich sein und dies muss sich entsprechend auch bei der Zulassung der Systeme abbilden.“

Patentrecht bremst den technologischen Fortschritt
Grundlage für die Umsetzung des automatisierten Fahrens sind Telekommunikationstechnologien und sogenannte „standardessentielle Patente“. Möchte ein Automobilunternehmen diese Patente nutzen, benötigt es entsprechende Patentlizenzen. Niemand, der den technischen Standard für seine Produkte nutzen will, kommt an den Patentinhabern vorbei“, so der TU-Rechtswissenschaftler Markus Gollrad.

Oft komme es zu langwierigen gerichtlichen Streitigkeiten darüber, ob ein bestimmtes Patent tatsächlich Grundlage des technischen Standards, also „standardessentiell“ ist. Auch über die Höhe der Patentlizenzkosten werde gestritten. Für eine faire und diskriminierungsfreie Lizenzierung der Patente müssten auf europäischer Ebene geeignete Mechanismen entwickelt werden, so die Forschenden um Prof. Ensthaler.

Sind automatisiert fahrende Fahrzeuge im Strassenverkehr zulässig?
Die Wissenschaftler*innen, prüften unter welchen Voraussetzungen automatisierte Fahrfunktionen im öffentlichen Strassenverkehr zulässig sind. Die Forschenden raten dringend, die deutschen Gesetze an den international gängigen Definitionen der Automatisierungsstufen zu orientieren, um so international einheitliche Rechtsgrundlagen zu schaffen. Die Hersteller stehen vor der Schwierigkeit, die Kriterien für sorgfältiges, verkehrsgemässes Verhalten vorab zu programmieren und gleichzeitig Spielraum für Verkehrsfluss und situationsgemässes Handeln zu erlauben.

Echte Dilemma-Situationen bestehen nur in der Theorie, da die Fahrzeuge die Fahrbewegungen mit mathematischer Präzision berechnen und generell auf Risikominimierung programmiert sind. Das Fahrzeug entscheidet strikt zugunsten des geringeren Risikos. Selbst wenn Situationen mit identischem Risiko in der Praxis auftreten, werden sie auch nach bisherigen Regelungen als unabwendbar betrachtet, ohne dass es auf ethische Abwägungen ankommt.

Wer haftet bei einer Verkehrsstörung mit einem selbstfahrenden Fahrzeug?
Die technischen Neuerungen werfen neue Haftungsfragen auf. Das Gesetz muss die Grenze zwischen Verantwortung des Fahrzeugs und der Fahrerverantwortung eindeutig aufzeigen können. Für die Haftung des Fahrenden gilt laut Strassenverkehrsgesetz, dass diese Person wahrnehmungsbereit bleiben muss, beispielsweise für Systemhinweise oder für „offensichtliche Umstände“. Dieser Begriff sei nicht ausreichend geklärt und wird den Unterschieden der Automatisierungsstufen nicht gerecht, kritisieren die Forschenden.

Die Frage nach der Datenhoheit der Daten
Die Forschenden sehen ein Problem für die Klärung der Zuordnung von persönlichen und nicht-persönlichen Daten geht. Für die Datenhoheit gibt es keine Regelungen, vieles ist umstritten und ungeklärt. Der faktische Zugriff auf die Daten des Fahrzeugs ist unklar. Nach Auffassung der TU-Forschenden sollte der Zugriff auf die Daten eines Fahrzeugs möglichst mehreren Wettbewerbern erlaubt sein und nicht bloss Sache des jeweiligen Fahrzeugherstellers. Obwohl diese Meinung sehr umstritten ist, sollte man über eine Wahlfreiheit durch den Fahrzeughalters nachdenken: „Wer darf die Daten vom Fahrzeug abgreifen und verwerten?“, so Markus Gollrad.

Mit der Untersuchung in mehreren Forschungsprojekten wollten die Forscher der TU Berlin die praktische Umsetzung des automatisierten Fahrens ebnen. Das Fachgebiet Wirtschafts-, Unternehmens- und Technikrecht unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Jürgen Ensthaler ist Teil des Zentrums für geistiges Eigentum (ZfgE) an der TU Berlin. Das ZfgE dient seit 2014 als zentrale Anlaufstelle für alle Themengebiete rund um Patentierung, Immaterialgüterrecht, Technikrecht und den Technologietransfer. 


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